Tatsächlich begeistert er sie mit etwas, das innerhalb der abendländischen Kunstgeschichte eher das 15., 16. oder 17. als das 19. Jahrhundert beschäftigt hat.
Im 15. Jahrhundert wurde in den Niederlanden von Malern wie Hubert und Jan van Eyck oder Rogier van der Weyden die Technik der Ölmalerei zu einem absoluten Höhepunkt weiterentwickelt (Vasari bezeichnete Jan van Eyck sogar als deren Erfinder), der es ermöglichte, die sichtbare Wirklichkeit - man nannte sie 'die Natur', daher unser Begriff des "Naturalismus" (richtiger: "Wirklichkeitsnähe") - so genau wie niemals zuvor abzubilden. Selbst ein durch ein Stück Glas oder einen durchsichtigen Edelstein fallender Lichtstrahl wurde plötzlich darstellbar.
Und in Italien entwickelte zur gleichen Zeit der Architekt Filippo Brunelleschi die Regeln der Zentral- bzw. Fluchtpunktperspektive, mit deren Hilfe es möglich wurde, auf der zweidimensionalen Malfläche eine so faszinierende Illusion von Dreidimensionalität zu erzeugen, dass die Menschen zunächst an Teufelswerk dachten und schließlich in grenzenlose Begeisterung gerieten.
Der Kunsthistoriker Hans Belting hält für diese Zeit fest, dass "die Bedeutung der Begriffe Kunst und Handwerk" zu dieser Zeit "noch im Fluß" gewesen sei (Hans Belting, Spiegel der Welt, München 1994, S. 115). Das bedeutet, dass zu diesem Zeitpunkt noch als 'Kunst' galt, was heute, fast 600 Jahre später, zu trennen ist in etwas, das wir 'Kunst', und etwas, das wir 'Handwerk' nennen.
Diese Unterscheidung bietet uns gewissermaßen den Schlüssel, um das Werk Winterhalters verstehen und einordnen zu können. Und das führt zu der Feststellung, dass im Schaffen Winterhalters eine frühe und eine spätere Phase festzustellen ist.
Frühe Phase
In der frühen Phase, gewissermaßen seiner Jugend (vgl. Abbildung 3), ist Winterhalter künstlerisch 'auf der Höhe der Zeit'. Er nimmt aktiv an der Entwicklung der Kunstgeschichte teil, die sich in romantischen und klassizistischen Stilmerkmalen äußert. Zu diesem Zeitpunkt ist Winterhalter ein hochbegabter, technisch bestens ausgebildeter Künstler, selbst wenn sich Originalität und Individualität noch weiter entwickeln müssen, wenn er dauerhaft in die Reihe der 'modernen' Künstler aufgenommen werden will. Sein spezifischer Beitrag zur Kunstgeschichte steht zu diesem Zeitpunkt noch aus.
Späte Phase
Dann entdeckt Winterhalter offenbar, dass er mit Porträts sehr viel mehr Geld als mit Landschaftsbildern verdienen kann. Daraufhin verabschiedet er sich von der Suche nach einem authentischen Ausdruck der Zeit und entsprechend neuen künstlerischen Mitteln und überlässt diese Suche anderen Malern, deren Entwicklung er aus nächster Nähe beobachten kann, denn zu diesem Zeitpunkt lebt er überwiegend in Paris. Stattdessen übernimmt er Aufträge, deren wesentlicher Bestandteil es ist, den Reichen und Mächtigen, den Mitgliedern der herrschenden Oberschicht, zu schmeicheln. Er tut dies nicht nur, indem er vor allem Frauen schlanker und schöner darstellt, als sie in Wirklichkeit sind - das lässt sich anhand von Fotographien en détail nachweisen (Dank an die Ausstellungsmacher in Freiburg!) -, sondern auch, indem er künstlerische Mittel längst vergangener Kunst-Epochen wie beispielsweise des Barock und des Rokoko verwendet (vgl. Abb. 1).
Zudem perfektioniert er seine technischen Fertigkeiten in einer Weise, dass er beispielsweise Stoffe - Tüll, Gaze, Seide, Samt etc. - in geradezu verblüffender, wirklich faszinierender Weise darzustellen in der Lage war.
Indessen macht ihn dies nicht zu einem guten oder gar großen Künstler. Auf diesem Weg wird er lediglich zu einem virtuosen Handwerker. Denn die wirklichkeitsgetreue Abbildung der 'Natur' ist schon lange nicht mehr das Ziel der Kunst! Das ist es schon im Manierismus (spätes 16. Jahrhundert) nicht mehr. Da er indessen mit der detaillierten Darstellung von Kleidern und Stoffen wie der erwähnte Meissonier eben dies ins Zentrum seiner Malerei stellt, gilt für ihn tatsächlich, was gelegentlich von allen Malern dieser Zeit gesagt wurde: Seine Art der Kunst droht durch die Fotographie obsolet zu werden.
Allerdings konnte Winterhalter besser als die Fotographie den nicht immer wirklich schönen Frauen und gelegentlich auch den Männern schmeicheln. Und das war es, das die Reichen und Mächtigen dazu bewog, ihn zu protegieren - nicht aber seine Zugehörigkeit zu den jungen, avantgardistischen, 'modernen' Künstlern, die die Kunst längst in einer Weise weiterentwickelt hatten, dass Winterhalter mit ihnen nichts weiter mehr zu tun hatte, als dass auch er Pinsel, Farben und Leinwand verwendete - und dass er schnell arbeitete, denn auch das ist über seine Arbeit überliefert. Und daher ist es kein Wunder, dass er schon zur Zeit des deutsch-französischen Kriegs 1870/71 keine Aufträge mehr fand - die Zeit begann sich für andere künstlerische Mittel zu interessieren, originellere und authentischere. Winterhalter, der wegen seiner Affinität zu Frankreich in Deutschland auch aus politischen Gründen zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gut angesehen war, galt nun endgültig als überholt.
Allein in Frankreich scheint er noch länger bekannt gewesen zu sein. Der Literaturwissenschaftler und Historiker Jürgen Glocker hat erst kürzlich darauf hingewiesen, dass Winterhalter noch in Marcel Prousts "Suche nach der verlorenen Zeit" ganz am Beginn des 20. Jahrhunderts begegnet, als handle es sich um "eine offenbar bekannte Größe, als eine kulturelle Instanz und Institution, die der Erläuterung und Kommentierung nicht bedarf." (Jürgen Glocker, Der Maler Franz Xaver Winterhalter, Heidelberg 2015, S. 69)
Margarete Tosch-Schütt (Mittwoch, 02 März 2016 16:09)
Ich gratuliere! Hier wird eine Position in der Kunstvermittlung vertreten, nach der ich Ausschau hielt und die ich ebenfalls versuche einzunehmen. Es geht um den interessierten Laien, der an Kunst mit bestimmten Bildungsansprüchen herangehen möchte – und durch diese belastet eventuell schon in der Begegnung mit der Klassischen Moderne Schiffbruch erleidet, erst recht In den Phasen folgender künstlerischer Arbeitsweisen.
In den "Einblicken" hier werden übliche Erwartungen an Kunst thematisiert, ihre Berechtigung bestätigt oder relativiert – und dies nicht nur theoretisierend, sondern durch Fachwissen, das anschaulich bleibt, ohne Niveau zu verlieren nahe dem Laien und wohl auch einer bestimmten Altersgruppe. Auf diese Weise kann es gelingen Kunstinteressierten Zugangshürden abzubauen, Sichtweisen zu klären und ihre Neugier warm zu halten.