Es hört sich an wie eine Banalität und gewöhnlich hält man sie auch dafür. Aber die Beobachtung zeigt, dass sie gerade deswegen unterschätzt wird. Man behandelt sie meist stiefmütterlich,
vor allem deswegen, weil man ihren Sinn nicht erkennt. Man beginnt die Betrachtung eines Kunstwerks mit einigen wenigen Blicken und stürzt sich fast unmittelbar in die Assoziation oder in
die Aktivierung des angelesenen Wissens. Auf diese Weise kommt zustande, was Goethe in das Wort "Man sieht, was man weiß" gegossen hat - ein Wort, das in aller Munde ist und das doch von
kaum jemandem wirklich ernst genommen wird.
Das "sie", von dem hier die Rede ist, ist die Beschreibung. Immer wieder begegnet man der Frage: Warum ein Kunstwerk mühsam beschreiben - man sieht doch
alles.
Dem könnte man entgegenhalten: Man sieht erst, was man beschreibt.
Die bewusste, selbst kunstvolle Beschreibung von Kunstwerken hat schon jahrtausendealte Tradition. In der griechischen Antike nannte man sie "Ekphrasis" und man betrieb sie bis in die
Neuzeit hinein beinahe wie ein Gesellschaftsspiel. Aber selbst wenn es kein Spiel ist, macht jeder, der die Betrachtung eines Kunstwerks - und wenn es ihm noch so bekannt erscheint - mit
einer ausdrücklichen Beschreibung beginnt, die Erfahrung, dass er in der Regel ganz neue Entdeckungen macht. Die Beschreibung eines Kunstwerks ist nicht nur nicht überflüssig, sie steht
sogar ganz am Beginn jeder neugierigen und wirklich offenen Betrachtung eines Kunstwerks. Sie ist die Grundlage für jedes Verständnis eines Kunstwerks - das uns ja niemals etwas sagen
oder zeigen will, das wir ohnehin schon wissen, sondern das uns etwas Neues, häufig Unerwartetes mitteilen oder erfahren lassen will. Ohne eine Beschreibung bleiben wir dieser Erfahrung
unzugänglich.
1995 erschien der Band "Beschreibungskunst - Kunstbeschreibung", herausgegeben von Gottfried Boehm und Helmut Pfotenhauer. Er war Teil der Buchreihe "Bild
und Text", denn in dieser Zeit wurde in breit angelegter, interdisziplinärer Zusammenarbeit durch Vertreter der unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen das Verhältnis von
Bild und Text untersucht. Vor allem Literaturwissenschaftler und Kunsthistoriker untersuchten die unterschiedlichsten Formen des Zusammenwirkens von Bild und Text von der Antike bis zur
Gegenwart.
Die Beschreibung von Kunstwerken war eines der wichtigsten Untersuchungsfelder, denn im Rahmen einer Beschreibung wurde das eine Medium (Bild) in das andere (Text) transformiert und das
Verhältnis beider wurde am unmittelbarsten sichtbar.
Als der Kronzeuge für diese Transformation gilt bis heute eine Textpassage aus Homers "Ilias" (entstanden im 8. Jahrhundert v. Chr.). Dort wird beschrieben, wie
Hephaistos, der hinkende Gott des Feuers und der Schmiedekunst, die Esse anheizt und für den unverwundbaren Achilleus, den Tapfersten der Griechen vor Troja und Bezwinger Hektors, aus
Erz, Gold, Silber und Zinn (Ilias 18, V. 474f) einen Schild schmiedet (Homer, Ilias, Gesang 18, Verse 468-608).
In mehreren konzentrischen Kreisen legt er darauf Bilderstreifen an, die er - wenn man Homer glaubt - mit äußerst kleinteiligen Darstellungen anfüllt, angefangen von Bildern des Weltalls über
solche der Erde mit Meer und Himmel, über Städte mit entsprechendem, städtischen L
eben (Hochzeiten, Volksversammlungen), über kriegerische und bäuerliche Handlungen bis hin zu wilden Tieren, die das von Hirten gehütete Vieh reißen.
Die Beschreibungen der von Hephaistos geschaffenen Bilder gehen allerdings weit über die reine, verbale Reproduktion statischer Abbildungen hinaus, werden stattdessen zu
Erzählungen sukzessiver Handlungen, die zudem synäthetisch geprägt sind, also alle Sinne ansprechen
"Drauf auch ein Rebengefilde, von schwellendem Weine belastet,
Bildet' er schön aus Gold; doch glänzeten schwärzlich die Trauben;
Und lang standen die Pfähle gereiht aus lauterem Silber. [...]
Jünglinge nun, aufjauchzend vor Lust, und rosige Jungfraun
Trugen die süße Frucht in schöngeflochtenen Körben.
Mitten auch ging ein Knab' in der Schar; aus klingender Leier
Lockt' er gefällige Tön' und sang anmutig von Linos
Mit hellgellender Stimm'; und ringsum tanzten die andern,
Froh mit Gesang und Jauchzen und hüpfendem Sprung ihn begleitend."
(Homer, Ilias 18, V. 561-572; Übersetzung von Johann Heinrich Voß)
Der Schild ist Teil der neuen Rüstung, die Achilleus auf Geheiß seiner Mutter Thetis innerhalb nur einer Nacht durch die Hand des Hephaistos erhält, um darin seinen gefallenen Freund Patroklos zu
rächen (der die Rüstung des Achilleus getragen und sie an Hektor verloren hat). Es fällt auf, dass Homer nur den Schild so ausführlich schildert (130 Verse), während die übrigen Teile der Rüstung
in nur fünf Versen abgehandelt werden.
Erika Simon beschreibt in dem Band, aus dem wir im Folgenden einige Aufsätze lesen wollen (Gottfried Boehm/ Helmut Pfotenhauer [Hgg], Beschreibungskunst - Kunstbeschreibung. Ekphrasis von
der Antike bis zur Gegenwart, München 1995), die Wirkung des Vortrags der Passage aus Homers "Ilias" auf die antiken Zuhörer. Deren Vorkenntnisse sowie ihr gutes (weil geschultes)
Textgedächtnis wie auch ihre ausgeprägte (weil geschulte) Fähigkeit zur Visualisierung (bildlicher Vorstellung) wird dazu geführt haben, dass während des Vortrags ein plastisches, gut
einprägsames Bild vor ihren inneren Augen entstand, das sie lange in ihrem Inneren zu bewahren in der Lage waren. "Das heißt, man konnte Bilder, auch solche der dichterischen Phantasie, lange vor
Augen haben. Diese optische Begabung dürfte ähnlich intensiv gewesen sein wie die akustische [...]. Durch diese beiden antiken Eigenschaften, mit denen der Dichter natürlich rechnete, war nach
130 Versen der gesamte Schild in allen Details den Hörern präsent." (S. 125)
An Homers Darstellung des Schilds des Achilleus wird ganz besonders deutlich, in welchem Maß Text und Bild einander ergänzen. Die Bilder enthüllen ihre Bedeutung in ihrer ganzen Fülle nur dann,
wenn diese Bedeutung durch den Text präzisiert und gegebenenfalls in eine Erzählung aufgelöst wird. Und die Sprache wird nur anschaulich, wenn sie dafür durch die Vision, die bildliche
Vorstellungskraft, ergänzt wird. Nur so wird sie überzeugend. Wenn Bild und Text miteinander in einem Wettstreit liegen, dann nicht, um einander auszuschließen, sondern um des Miteinanders
willen. Nur gemeinsam erschließt sich die ganze Fülle des Sinns einer schriftlichen oder bildlichen Darstellung.
Gottfried Boehm hat sich in einem Aufsatz in dem Band "Beschreibungskunst - Kunstbeschreibung" mit diesem "Wettstreit" zwischen Bild und Sprache beschäftigt.
Gottfried Boehm, Bildbeschreibung. Über die Grenzen von Bild und Sprache, in: Ders./ Helmut Pfotenhauer (Hgg), Beschreibungskunst - Kunstbeschreibung. Ekphrasis von der Antike bis zur
Gegenwart, München 1995, S. 23-40.
I. Ekphrasis und Deskription
Der Begriff Ekphrasis (griechisch: "Beschreibungskunst") macht deutlich, dass es diesen Wettstreit tatsächlich schon seit der Antike gibt, also seit mehr als zwei Jahrtausenden. Boehm nennt ihn
indessen nicht einen 'Streit', vielmehr eine "Gleichung zwischen der Sprache und den Bildern" (S. 23), denn die Konkurrenz, die zwischen beiden seit dem 18. Jahrhundert besteht, kennzeichnete die
voraufgehende Zeit noch nicht.
Dass es überhaupt möglich ist, Bilder in Sprache umzuwandeln, sie sprachlich angemessen wiederzugeben, zeugt tatsächlich von einer unglaublichen "Bildkraft der Sprache". Sprache ist ganz
offensichtlich in der Lage, verschiedene Sinnesleistungen oder -eindrücke zusammenzufassen und ihnen adäquat Ausdruck zu geben.
Zwar hat sich die Art der Beschreibung zwischen Homers Beschreibung des Schilds des Achilleus und der kunstwissenschaftlichen Beschreibung im 20. (und 21.) Jahrhundert stark verändert, doch der
gesamten Geschichte der Kunstbeschreibung liegt die Fähigkeit der Sprache zugrunde, Bilder angemessen wiedergeben zu können.
Sprache kann zeigen, wie es auch ein Bild kann - damit wird dieser Wettstreit zu einem Kapitel der Geschichte des Paragone, des Wettstreits der Künste. Prinzipiell sind Bild und Text also
durchaus miteinander vergleichbar.
Erst seit dem 18. Jahrhundert wurde dieses Verhältnis im eigentlichen Sinn problematisiert. Nun erschien das Bild als "etwas 'Unsagbares'" (24), zugleich die poetische Sprache als etwas so
komplexes und Vieldeutiges, dass es nicht in ein (scheinbar) eindeutiges Bild übersetzbar war. Das Verhältnis zwischen Bild und Sprache erschien nun erstmals als fragwürdig. Das 'Werkzeug', das
die Sprache vorher beispielsweise für die Kunstwissenschaft gewesen war, wurde nun hinterfragt.
Dies ist gewissermaßen die Grundlage, auf der ein derart umfangreicher und interdiziplinärer Band wie der vorliegende - "Beschreibungskunst - Kunstbeschreibung" - entstanden ist. Sein Ziel ist
es, die Voraussetzungen adäquater Bildbeschreibungen, also der Transformation des einen Mediums (Bild) in ein anderes (Sprache), zu untersuchen. Man könnte auch einfacher fragen: ob eine
angemessene Wiedergabe eines Bilds mit den Mitteln der Sprache, ob also sprachliche Beschreibung von Kunst überhaupt möglich (und sinnvoll) ist.
Vom Sinn und den Möglichkeiten der Beschreibung - Teil 2
Gottfried Boehm, Bildbeschreibung. Über die Grenzen von Bild und Sprache, in: Ders./ Helmut Pfotenhauer (Hgg), Beschreibungskunst - Kunstbeschreibung. Ekphrasis von der Antike bis zur
Gegenwart, München 1995, S. 23-40.
"Die Geschichte der Moderne vermittelt uns ein Bewusstsein davon, daß die Grenzen zwischen Bild und Sprache einen ambivalenten Bezug repräsentieren - sie trennen und sie verbinden." (S.
24)
Die Frage nach der Sprache und ihren Möglichkeiten und Grenzen, die Problematisierung von Sprache also, ist deswegen grundlegend wichtig, da sie jeder unserer Tätigkeiten im Zusammenhang
der Bildbetrachtung und -analyse zugrunde liegt. Boehm bezeichnet sie als "das Nadelöhr" der Arbeit des Wissenschaftlers. "Erst in der Sprache gewinnt der Wissenschafler eine
Instanz, die zur Kontrolle und Kritik seiner Einsichten geeignet ist. Erst in ihrem Lichte läßt sich die erforderliche Präzision erzielen und eine Verständigung, die das Wahrscheinlich
vom Inplausiblen zu unterscheiden vermag." (24)
Dabei sind die Worte von "Kontrolle und Kritik" von besonderer Bedeutung. Sie machen deutlich, dass "Deskription" (= Beschreibung) durchaus kein rein passiver, inaktiver Vorgang ist, der nur
rezeptiv, also nachfolgend, reproduzierend, gleichsam kopierend und ohne eigene produktive Leistung ist. Im Vorgang der Beschreibung steckt stattdessen Kontrolle und Kritik, sie ist eine Form der
Aneignung, die produktiv das Bild gewissermaßen nach-schafft und währenddessen jedes einzelne ins Auge gefasste Element kontrolliert. So wie die "Beschreibung einer Kurve" durch den Mathematiker
keine nachträgliche Betrachtung und Erfassung, sondern vielmehr die "vorgänige Erzeugung eines geometrischen Gebildes" (24) ist, so kann man es im Grunde auch von der descriptio
(= Ekphrasis) dessen sagen, der ein Bild beschreibt. Beschreiben heißt Hervorbringen. So spricht schon der französische Schriftsteller Denis Diderot (1713-1784) in
seiner Enzyklopadie von 1754 anlässlich der Beschreibung (descriptio) als von einem "Handeln" (25), und er machte die literarische Bildbeschreibung in einer
besonders subtilen Weise zu einem festen Bestandteil seines Salons (1759-81) - man könnte auch sagen: zu einem kultivierten Gesellschaftsspiel.
Dennoch bleibt immer "jene unbefriedigende Diskrepanz zwischen einem erkenntnisschwachen Beschreiben und einem phänomenfernen Erklären." (25) Mit ihr haben sich nicht zuletzt Philosophen
beschäftigt,unter ihnen Edmund Husserl, der eine eigene "Kunst der Beschreibung" (Phänomenologie) entwickelt hat, die er selbst ein System "reiner" Beschreibung nannte. Damit geht er im Grunde
wieder auf die antike Ekphrasis zurück, die von dem Bestreben geleitet wurde, mit Hilfe der Beschreibung zu einem "wirklichen Sachaufschluß" zu gelangen (26), auf ihrem Weg dem beschriebenen
Phänomen also spürbar näher zu kommen. In der Beschreibung, so zeigen es auch die großen Kritiker der neuzeitlichen Naturwissenschaft, steckt "Erkenntniskraft" (26), eine Kultivierung der
Beschreibung (Ekphrasis, descriptio) führt damit zu ihrer Stärkung.
Vom Sinn und den Möglichkeiten der Beschreibung - Teil 3
Gottfried Boehm, Bildbeschreibung. Über die Grenzen von Bild und Sprache, in: Ders./ Helmut Pfotenhauer (Hgg), Beschreibungskunst - Kunstbeschreibung. Ekphrasis von der Antike bis zur
Gegenwart, München 1995, S. 23-40.
Die Distanz von Wort und Bild in der Moderne
Die Moderne im 19. Jahrhundert zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass im Sinn des Bestrebens nach Erfahrungserweiterung die einzelnen Sinneseindrücke und ihre Ausdrucksformen jeweils für
sich überdacht werden. Es findet gewissermaßen eine Trennung, eine Diversifizierung der Sinneseindrücke auf dem Weg ihrer Reflexion statt.
Boehm bezeichnet es als ein "Schlüsselerlebnis" (26), als erstmals von den Impressionisten das unvoreingenommene Sehen von dem durch Vorwissen geprägten Sehen unterschieden
wird. Max Imdahl bezeichnet das eine als das sehende, das andere als das wiedererkennende Sehen. Während letzteres wesentlich von der Sprache geprägt ist, ist es ersteres - das,
unvoreingenommene, sehende Sehen - gerade nicht. Vielmehr wird das Bild auf diesem Weg "zu einer Welt des Auges, die sich jenseits bekannter Erfahrungsräume öffnet. Der Verlust an
Wiedererkennbarkeit, die Fremdheit der künstlerischen Physiognomie wird ausgewogen durch die Aussicht, in eine neue und unbekannte Realität vorzudringen." (27) Dafür benötigt der Betrachter nicht
sein Vorwissen, sondern die wache Bereitschaft, sich mittels des Sichtbaren auf ganz neue Weise anregen zu lassen.
Die Kunst der Moderne hat sich gerade dieser Form der Rezeption verschrieben. Nicht das Abrufen von schon Gewusstem ist ihr Ziel, sondern vielmehr die Ermöglichung ganz neuer Erfahrungen. Nicht
bekannte Erzählungen sind noch ihr Thema, sondern ein ganz neues Universum subjektiver und individueller Erfahrungen.
Caspar David Friedrich, Eismeer, 1821; Hamburg, Kunsthalle
Das hat Auswirkungen auf die Möglichkeiten der Beschreibung. Kunst die vor-sprachlich ist, kann vielleicht im Nachhinein von der Sprache eingeholt werden, doch verhindert die Subjektivität und
Individualität der jeweiligen Kunst-Erfahrung eine allgemeingültige Fixierung durch Sprache. Die erste Voraussetzung der Beschreibung solcher Kunstwerke ist daher ihr Bewusstsein der eigenen
Grenzen.
"Wenn sich das Bild im visuellen Vollzug erschließt, sein künstlerisches Sein sich erst im Akt der Wahrnehmung erfüllt, dann kann die Beschreibung nicht hoffen, in Worten ein stabiles Äquivalent,
eine Art sprachliches Abbild zu schaffen." (27)
Dagegen kann sie ihre Aufmerksamkeit auf die Voraussetzungen und Strategien zur Erzeugung der genannten Erfahrungen angesichts von Kunstwerken richten. Zu diesen können auch inhaltliche
Hinweise gehören, sich jedoch auch auf rein formale beschränken. Eine Beschreibung kann Strukturen benennen wie auch ihre Irritation und Störung. Ebenso können Farben beschrieben
werden wie auch der Effekt, den sie im Zusammenspiel erzeugen. Bis zu einem gewissen Grad geht dies ebenso mit Formen. Und es können Beziehungen dieser und weiterer Elemente zueinander sowie
deren Verweigerung mit Worten wiedergegeben werden.
Es mag also die abstrakte, mehr noch die gegenstandslose Kunst sein, angesichts derer das Verhältnis von Bild und Sprache und damit die Möglichkeit der Beschreibung eines Kunstwerks am
schwierigsten, die Differenz zwischen beiden am größten ist. Aber die Beschreibung kann auch bei anderen Formen und Stilen von Kunst schwerfallen. "Max Beckmann z.B. stärkte die sprachferne, die
betont anschauliche Ausdruckskraft seiner Bilder nicht durch die Vermeidung von allem Wiedererkennbaren, von Figuren, Zeichen oder Erzählungen. Und doch erwehren sich auch seine Gemälde - zum
Leidwesen vieler seiner Interpreten - allen Versuchen, sie in einen sprachlichen Kontext einzubinden, in dem sich das Sichbare gleichsam entschlüsselt, in seiner Bedeutung voll heraustritt." (28)
Es muss offensichtlich nicht Ungegenständlichkeit sein, die die Beschreibung erschwert, es kann auch die Vieldeutigkeit des Gegenständlichen sein.
Noch stärker als bei Beckmann ist dieses Vorgehen bei René Magritte zu beobachten.
René Magritte, La clef des songes (Der Schlüssel der Träume), 1930
In den frühen "Sprachbildern" spielt Magritte ausdrücklich mit dem Verhältnis von Text und Bild. In "La clef des songes" (1927) z.B. widersprechen sie einander offensichtlich. Die Beziehung von
Text und Bild zueinander wird fragwürdig, ohne jemals aufgelöst zu werden. In seinem berühmten Bild "Verrat der Bilder" geht Magritte sogar noch ausdrücklicher vor.
René Magritte, Verrat der Bilder, 1928-29; Los Angeles, Los Angeles Conty Museum of Art
Der Satz "Ceci n'est pas une pipe" (Dies ist keine Pfeife) negiert ausdrücklich, was das Bild doch so offensichtlich zu zeigen scheint.
Was auch hier deutlich wird, ist die Chance, auf dem Weg der Problematisierung des Verhältnisses von Text und Bild angesichts von entsprechenden Kunstwerken zu neuen Erkenntnissen zu gelangen,
die nicht innerhalb der Grenzen der Sprache bleiben, sondern diese wesentlich überschreiten. Bilder werden auf diesem Weg zu Toren in eine noch unbekannte Welt, die noch nicht durch Sprache
domestiziert worden ist.
Vom Sinn und den Möglichkeiten der Beschreibung - Teil 4
Gottfried Boehm, Bildbeschreibung. Über die Grenzen von Bild und Sprache, in: Ders./ Helmut Pfotenhauer (Hgg), Beschreibungskunst - Kunstbeschreibung. Ekphrasis von der Antike bis zur
Gegenwart, München 1995, S. 23-40.
S. 29-31:
III. Das treffende Wort
Boehm denkt am Beginn dieses Abschnitts über die seltsame Eigenart der Bilder nach, nicht allein Gegenstände zu sein (man kann diese Gegenstände an die Wand hängen, sie kaufen und
verkaufen, sie werden hergestellt oder zerstört), sondern dass sie außerdem für etwas anderes stehen. Sie zeigen etwas und weisen auf diese Weise über sich selbst hinaus. Sie erzeugen
Sinn, sind Träger von Bedeutung - ganz ähnlich, wie es Schrift tut, die auch nicht nur eine Linie aus Tinte oder Druckerschwärze ist, sondern darüber hinaus Träger einer Botschaft, von
Bedeutung, eines Sinns. Boehm spricht daher von einem "sinnlichen Sinn", der sowohl vom Bild wie von der Schrift erzeugt wird (S. 29).
Allerdings ist "die 'Sprache der Bilder' [...] ebensosehr bedeutungserweckend wie unübersetzbar." (29)
Und daher ist der Ausdruck von der 'Sprache der Bilder' auch eher irreführend. Er suggeriert, dass Bilder wie Sprache konkrete Botschaften übermitteln, dass sie 'Übersetzungen' solcher
Botschaften seien, die nach bestimmten Regeln erstellt (codiert) sind und nach entsprechenden Regeln wieder rückübersetzt (decodiert) werden können - Voraussetzung sei allein die richtige
Anwendung der Regeln. Dieses Verständnis degradiert die Bilder zu einem 'uneigentlichen Modus der Sprache'.
Dabei folgen Bilder "völlig anderen Regeln, als denjenigen der gesprochenen oder geschriebenen Sprache." (30)
Jacob van Ruisdael, Blick auf Haarlem, um 1650; Amsterdam, Rijksmuseum
Irreführende Ikonographie
Es ist unsere lange eingeübte Vorstellung von einer 'Ikonographie', geprägt vor allem durch gelehrte Bildentschlüsseler wie Erwin Panofsky, die uns die Vorstellung eingeimpft hat, Bilder seien
Träger von Botschaften, die eigentlich im Medium von Sprache und Schrift formuliert sind, im Bild jedoch transformiert in ein Medium auftreten, das leichter zu verstehen sei (daher der
Ausdruck der 'uneigentlichen Sprache'). Ikonographie ist auf Wiedererkennbarkeit angelegt, die auf bestimmte, schon bekannte Inhalte verweist. An dieser Vorstellung krankt unsere Bildbetrachtung
und -beschreibung bis heute.
Bilder aber sind und funktionieren, wie Boehm betont, prinzipiell anders als Sprache und Schrift. Nur verlieren wir durch unsere Prägung durch die Ikonographie "diese prinzipielle Andersheit des
Bildes [...] leicht aus dem Blick." (30)
"Die Beschreibung muß mehr leisten, als die dem Bild impliziten Sprachgehalte zu reverbalisieren." (30)
Schließlich geht es letztlich bei Bildbetrachtung und -beschreibung nicht um eine solche 'Reverbalisierung', also um eine Rückübersetzung in Sprache.
Das Bild als Medium mit gänzlich eigenen Regeln
Ein Bild ist, Boehm zufolge, ein visuelles Feld, eine Ansammlung von Zeichen, die auf ganz unterschiedliche Weise und auf mehreren Ebenen zugleich wahrgenommen werden können und wollen und die
zugleich in wesentlichen Bereichen über eine genaue Fixierung durch Sprache hinaus gehen (am besten vielleicht nachvollziehbar bei der Beschreibung eines Porträts).
Francisco de Goya, Die Familie Karls IV. (Detail), 1800-1801; Madrid, Prado
Dabei präsentiert sich ein Bild, ganz anders als Sprache oder Schrift, zunächst und vor allem als ein Ganzes, das auf einmal, in einem einzigen Augenblick wahrgenommen werden kann (während
Sprache/Schrift notwendigerweise sukzessive, in einem Nacheinander von Decodierungen erschlossen werden muss).
Die Veränderung der Bilder im Verlauf der Geschichte, ihr "historischer Gestaltwandel kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß bildlicher Sinn und sprachlicher Sinn sich auf verschiedene
Weise manifestieren." (30)
Aus diesem Grund ist es nicht ausreichend, wenn sich eine Bildbeschreibung auf die Identifizierung dargestellter Gegenstände beschränkt (wie dies allzu häufig geschieht). "Das sorgfältigste
Verzeichnis alles dessen, was an Details auf einem Bild 'drauf' ist, wäre doch keine Beschreibung des Bildes." (30) Zu dieser gehört wesentlich auch das hinzu, was man als 'Ausdruck'
bezeichnen könnte, als 'Wirkung': eine gelungene Beschreibung - die niemals vollständig sein kann - bezieht mit ein, wie ein Bild 'wirkt'. Boehm nennt diese 'Wirkung' auch die "Latenzen", den
"ikonischen Zeigegestus". (30)
Allerdings besteht ein Problem - das umso größer wird, je wissenschaftlicher eine Beschreibung sein will - darin, dass die 'Wirkung' eines Bilds kaum objektiv fassbar ist (siehe Beschreibung
eines Porträts). Sie wird immer in Subjektivität und den individuellen Eindruck abgleiten und damit den Bereich wissenschaftlicher Nachvollziehbarkeit und Verlässlichkeit verlassen (müssen). Aus
diesem Grund konzentriert sich die wissenschaftliche Herangehensweise häufig auf Details bzw. bestimmte Aspekte des Bilds, ohne das Ganze in den Blick zu nehmen (und über Führungen und
Audioguides wird den Besuchern vermittelt, dass man so an Bilder herangehen müsse). Genau so ging Panofsky in seinem epochemachenden Aufsatz "Über die Beschreibung und Inhaltsdeutung von
Werken der Bildenden Kunst" (1932) vor. Es ging ihm um die Versachlichung und Kontrollierbarkeit des Beschreibungsvorgangs. "Er wendet sich indirekt gegen die ästhetisierende Einfühlung und die
divinatorische Intuititon, die sich des Werkes ohne Umschweife bemächtigen wollen" (30), und damit hat Panofsky Generationen von Kunsthistorikern und ihre Art der Analyse von Kunstwerken - der
Bildbeschreibung - geprägt.
Zugleich wird daran deutlich, dass die Sichtweise des Betrachters auf das Bild wesentlich durch sprachliche Voreinstellungen, durch die Sprache geprägt ist und gesteuert wird.
So verdienstvoll Panofskys Systematisierung der Analyse von Kunstwerken war, sie führt auch in ein Dilemma: "Die Abfolge dreier Schichten im Bild [bzw. dreier Stufen der Analyse] kann niemals ein
wirkliches Äquivalent für seine Komplexität sein." (31)
Vom Sinn und den Möglichkeiten der Beschreibung - Teil 5
Gottfried Boehm, Bildbeschreibung. Über die Grenzen von Bild und Sprache, in: Ders./ Helmut Pfotenhauer (Hgg), Beschreibungskunst - Kunstbeschreibung. Ekphrasis von der Antike bis zur
Gegenwart, München 1995, S. 23-40.
S. 31-36: Abschnitt 4: Vasari und die Tradition der Rhetorik
Die Beschreibung von Kunstwerken ist wie diese selbst zeitbedingt. Unterschiedliche Zeiten beschreiben Bilder in unterschiedlicher Weise, und wenn wir historische Bildbeschreibungen - Ekphrasen -
lesen, müssen wir dies berücksichtigen, um sie in der entsprechenden Weise verstehen und würdigen zu können.
Mit die ersten Bildbeschreibungen der Neuzeit liefert der italienische Künstler und Künstler-Vitenschreiber Giorgio Vasari (1511-1574). Allerdings wurden seine Beschreibungen,
die Teile der Lebensbeschreibungen der Künstler sind, bis vor einiger Zeit rein anekdotisch gelesen. Inzwischen aber hat sich die Sicht geändert. Seit einer Untersuchung von Svetlana Alpers
("Ekphrasis and aethetic attitudes in Vasari's Lives"; deutsche Übersetzung in dem Band Beschreibungskunst - Kunstbeschreibung, S. 217-258) von 1960 ist bekannt, dass Vasari seine
Bildbeschreibungen bewusst und zugleich sehr kunstvoll so anlegt, dass zwar nicht jedes Detail des Bilds in den Blick genommen wird, dafür aber im Geist des Lesers ein möglichst lebendiges Abbild
entsteht ("To make a picture live for the viewer"; Alpers). "Der Erzeugung von Lebendigkeit liegt ein differenziertes Verfahren zugrunde." (32)
Vasari ist in diesem Bemühen im Übrigen nicht allein. Schon Leon Battista Alberti (1404-1472) hatte sich bei der Auseinandersetzung mit der Malerei Giottos in seinem Traktat
Della Pittura (1440) darum bemüht, beispielsweise "in der stummen Sprache des Körpers" dargestellter Personen "höchste und eindrücklichste Wirkungen der Seele und der Affekte zur Geltung
zu bringen". (32)
Bei seiner Bildbeschreibung ging es Vasari ganz offensichtlich um andere Aspekte als die, welche später die Kunstwissenschaft interessierte. Es geht ihm nicht um Form- oder Kompositionsanalysen,
stattdessen entwirft er einen Gesamteindruck und eine "wohldosierte Wirkung" (33), und er beschreibt vor allem jene Elemente, die diese Wirkung adäquat transportieren können.
Piero della Francesca, Konstantins Traum. Freskenzyklus zur Legende vom Heiligen Kreuz; 1452-1466; Arezzo, San Franceso (Chor)
"Im Nachtbild von Konstantins Traum ist es vor allem eine Bildwirkung, die aus dem Kontrast von Nachtdunkel und unirdischem Licht des Engels entsteht, ganz stille Töne, 'mit größter
Zartheit' gemalt, in denen sich dieses epochemachende Ereignis ganz unpathetisch bekundet." (33) In anderen Bildern bringe der Künstler Furcht, Kühnheit, Gewandtheit, Kraft und andere,
Regungen zum Ausdruck.
Vasari verschränkt in seinen Texten kunstvoll verschiedene Weisen der Darstellung. Aus der Antike übernimmt er zum Beispiel narrative Elemente, also Ansätze zu lebendigen Erzählungen.
Zugleich bereichert oder unterminiert er sie durch Reflexionen, beispielsweise zur Technik der Malerei, zum Grad des Gelingens des Gemäldes, zur Wirkung, die das Kunstwerk für andere,
auch auf spätere Künstler gehabt hat usw., ohne auf diese Weise die Lebendigkeit der Erzeugung eines Abbilds im Kopf des Lesers einzuschränken. "Vasari geht es um eine Mischung [der von
ihm verwendeten rhetorischen Mittel], weil er an der Etablierung sprachlicher Kontraste interessiert ist" (34) - Kontrast hier im Dienst verschiedener Aspekte der Ekphrasis, die
einerseits über Thema und Verlauf der Geschichte informieren, andererseits die Affekte, die psychologischen und emotionalen Aspekte der Figuren lebendig werden lassen wollen. "Ekphrasen
sind offenbar darauf angewiesen, ein Gefälle zwischen Fakten und Affekten zustandezubringen." (34)
Dabei ist dieser Affekt nicht etwa ein sich selbst genügender Selbstzweck. Stattdessen zeigt sich hinter dem Affekt der "Grund eines Sachverhaltes, aus dem jener entstanden ist und
umgekehrt." (34)
Vasaris Form der Ekphrasis, der bewusst selektiven Bildbeschreibung, "verschafft Erfahrungen von hoher Intensität, in denen der Leser mit dem geschilderten Sachverhalt dicht
zusammenrückt." (35) Das geschieht, indem der Leser durch die Mittel der Anschaulichkeit im Text gewissermaßen zum Zuschauer gemacht wird.
Die Kunst der Beschreibung - Rembrandt und Saskia
Das Verhältnis von Sprache und Bild, so wie Gottfried Boehm es thematisiert, klingt (und ist) sehr komplex. Ich möchte zur Veranschaulichung an dieser Stelle eine Beschreibung einschieben,
die versuchen will, Boehms Überlegungen anzuwenden.
Bei dem beschriebenen Bild handelt es sich um Rembrandts höchst privates Porträt seiner jungen Frau Saskia von Uylenburgh, das er - laut Notiz auf dem Blatt - am dritten Tag nach der Verlobung,
dem feierlichen Heiratsversprechen, am 8. Juni 1633 angefertigt hat.
Rembrandt Harmenszoon van Rijn, Saskia van Uylenburgh am dritten Tag nach dem Heiratsversprechen, 1633; Berlin, SMB-PK, Kupferstichkabinett
Der erste Blick auf das nur 18,5 x 10,7 Zentimeter große Blatt wird durch das kleine Format, den verhältnismäßig vielen Raum vor allem oberhalb des Kopfs, und durch den wie eine Barriere
wirkenden Querstrich im unteren Drittel, unter dem eine Notiz Rembrandts jede Räumlichkeit unterminiert, auf Distanz gehalten. Dennoch zieht aber schon der Kopf der jungen Frau mit den aus dem
Schatten der großen Hutkrempe hervorleuchtenden Augen die Aufmerksamkeit auf sich.
Geht man näher an das Bild heran, so kann man Erstaunliches beobachten: Plötzlich wird deutlich, dass es sich eigentlich um eine sehr intime, ich möchte sagen liebevolle Darstellung der erst
einundzwanzigjährigen Saskia handelt. Denn auch Rembrandt ist mit den künstlerischen Mitteln, die er für die Darstellung verwendete, im übertragenen Sinn ‚sehr nahe herangegangen‘ und hat vor
allem die Augen, den Mund und das Kinn mit dem ganz leichten Ansatz eines Doppelkinns detailliert dargestellt, während er alles andere mit deutlich flüchtigeren Strichen eher angedeutet hat, es
im Vagen lässt, selbst wenn es nur wenige Millimeter von den besonders aufmerksam beobachteten Details entfernt ist.
Das gilt schon für Saskias linkes Auge, für ihre Haare, ihr rechtes Ohr. Dagegen ist der Mund sinnlich und verführerisch und das rechte Auge lächelt verschmitzt, so als würde Saskia, obwohl
Tochter eines vermögenden Juristen, alles mitmachen, was sich der mitunter verrückte, nicht uneitle Künstler mit seinem Hang zu Maskerade und der ausgeprägten Sammelwut einfallen lässt.
Rembrandt Harmenszoon van Rijn, Selbstporträt mit seiner jungen Frau Saskia, 1635-36; Dresden, Gemäldegalerie
Jedenfalls wirkt das so, wenn man das Selbstporträt mit Saskia mit hinzunimmt, das nur wenige Zeit nach der kleinen Zeichnung entstanden ist (und das von manchen für eine Darstellung des
Verlorenen Sohns im Bordell gehalten wird). Allerdings belegen das auch die Nachrichten, die über Saskia und beispielsweise ihren offenbar leichtherzigen Umgang mit Geld erhalten sind.
Ich sehe in diesem Selbstporträt übrigens eine Art Gegenbild zu Rubens‘ ‚Hochzeitsbild‘, dem Selbstbildnis mit Isabella Brant in der Geißblattlaube, das 1609/10 wohl für die soeben zu
Schwiegereltern avancierten Eltern Isabellas entstanden war und das Rembrandt mit Sicherheit kannte.
Peter Paul Rubens, Selbstbildnis mit Isabella Brant in der Geißblattlaube, 1609-10; München, Alte Pinakothek
Während Rubens sich als selbstbewussten Edelmann zeigte – mit dem ihm eigentlich nicht zustehenden Degen halb versteckt an seiner Seite –, als vornehm zurückhaltenden Gentleman im Zusammenhang
dieses distinguierten, höchst gesitteten Ehepaars, zeigt Rembrandt sich auf wesentliche derberere Weise:
Keine überkandidelte, repräsentative, eher symbolische Berührung in Form der noch aus der Antike überlieferten dextrarum junctio, wie wir sie noch vom Arnolfini-Doppelporträt Jan van
Eycks kennen, mit Eheleuten, die zu vornehm sind, um sich richtig anzufassen, sitzt Saskia dem ausgelassen feiernden, sichtbar glücklichen Künstler auf dem Schoß, selbstbewusst und durchaus nicht
gezwungen oder gar protestierend. Die eine Hand Rembrandts liegt auf ihrem Rücken mit dem subtil, aber deutlich beleuchteten, ein wenig überdimensioniert wirkenden Hinterteil, die andere hält ein
Glas in die Höhe, das zu sehr an ein Phallussymbol erinnert, als dass die Geste nur ein ungezwungenes Zuprosten an den imaginierten Betrachter meinen könnte. – Im Übrigen muss man sich fragen,
welcher Teil des Kleids das eigentlich ist, den Rembrandt mit der linken Hand hochzuhalten scheint. Zum grünen Obergewand passt dies eigentlich nicht, aber dass es sich um das Unterkleid handeln
sollte, ist – aus Gründen von ‚Sitte und Anstand‘ – fast nicht vorstellbar. Vielleicht handelt es sich einfach um die modische Ausformung eines Teils des Rocks; allerdings ist es sehr auffällig
beleuchtet (und in diesem Zusammenhang könnte man darauf hinweisen, dass auch die Federn am Hut Rembrandts erotische Konnotationen haben).
Wenn ich diese Bilder richtig lese, war Saskia sicher kein ‚Kind von Traurigkeit‘ und passte von daher gut zu ihrem dem Leben und der Sinnlichkeit zugewandten Ehemann.
Stattdessen betört sie, zumindest in der Privatheit intimer Zweisamkeit dieser gezeichneten Szenerie, wo sie ganz frei und unmittelbar erscheint: mit ihren Augen, ihrem Mund und ihrer
Fleischlichkeit, die sie einerseits, den Gepflogenheiten der Zeit entsprechend, durch sehr viel Stoff verhüllt, die andererseits aber an den wenigen Stellen, an denen man sie sehen kann nur um so
mehr und sinnlicher wirkt.
Und wir sehen, dass Rembrandt gerade diese Aspekte sorgfältig herausarbeitet und auf diese Weise den Blick des Betrachters – letztlich also vor allem seinen eigenen – zielgerichtet auf diese
Bereiche der Zeichnung hin lenkt, während er ihn auf den übrigen Teilen nicht festhält. Stattdessen lässt die Skizzenhaftigkeit seiner Strichführung an diesen Stellen die dargestellte
Gegenständlichkeit so im Vagen, dass der Blick keinen festen Anhaltspunkt findet. Immer wieder kehrt er deshalb zu den Augen und damit in die Intimsphäre inniger Zweisamkeit unter der breiten
Hutkrempe zurück.
Vom Sinn und den Möglichkeiten der Beschreibung - Teil 6
Gottfried Boehm, Bildbeschreibung. Über die Grenzen von Bild und Sprache, in: Ders./Helmut Pfotenhauer (Hgg), Beschreibungskunst - Kunstbeschreibung. Ekphrasis von der Antike bis zur
Gegenwart, München 1995, S. 23-40.
S. 36-38: Der ikonische Kontrast - die Interaktion von Faktum und Wirkung
Jackson Pollock, Number 32. 1950 (Lackfarbe auf Leinwand), 1950; Düsseldorf, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
Was bisher über Ekphrasis, die "Kunst der Beschreibung", gesagt worden ist, gilt vordergründig nur für gegenständliche Kunstwerke. Wie aber will man ein ungegenständliches
Kunstwerk beschreiben? Boehm zufolge besteht eine - unbefriedigende - Lösung darin, sich in die Beschreibung der Entstehung eines solches Kunstwerks, wie beispielsweise eines "drippings"
von Jackson Pollock, zu flüchten. Aber dadurch entsteht vor den Augen des Lesers oder Hörers eines solchen Texts kein adäquates Pendant zu dem tatsächlichen Werk.
Boehm konzentriert sich wegen der Vielfältigkeit der Kunst des 20. Jahrhunderts im Folgenden exemplarisch auf das Werk von Josef Albers (1888-1976), nicht zuletzt da er selbst
seine Kunst theoretisch reflektiert und Texte hinterlassen hat, "die überraschende Einsichten auch für das Beschreibungsproblem enthalten." (36)
Albers beschäftigte sich in seiner Serie "Homage to the Square" mit Werken, die in der Tradition des Bauhauses ein "rechenbares, geometrisches Schema" zur formalen Grundlage haben. Sie bestehen
aus ungemischten Farben: "Malerei ist ihren Erzeugungsregeln nach völlig rationalisiert, zu einem scheinbar technischen Geschäft geworden." (37)
Josef Albers, Homage to the Square, 1959; Frankfurt am Main, Schirn
Jedoch verwirrt Albers im konkreten Werk - von denen das in der Frankfurter Schirn nur eines von Hunderten ist - den Blick: es "folgt eine starke anschauliche Irritation auf dem Fuße."
Für den Betrachter sind die Beziehungen der Elemente im Bild nicht wirklich zu klären. Es ist nicht zu entscheiden, ob es eine Perspektive gibt und damit Raum oder nicht, die Beziehungen von
Zentrum und Peripherie changieren vor dem Auge des Betrachters ständig, bzw. - in der Terminologie Boehms - sie "interagieren". "Das ganze Bid erscheint belebt, als ein Lebendiges, das sich
gerade nicht rechnen und konstatieren läßt." (37)
Es besteht also ein gewisser Kontrast zwischen dem rational Feststellbaren des Kunstwerks und der damit hervorgerufenen Wirkung, seiner "nur noch vollziehbaren Lebendigkeit". Albers nennt diese
beiden 'Pole', zwischen denen sich das Kunstwerk bewegt, den factual fact und den actual fact oder in der Transformation durch Boehm "Faktum" und "Aktum". "Das
Bild sehen heißt, diesen Kontrast betrachtend zu vollziehen, seine Bewegungsimpulse, sein visuelles Potential zu aktivieren. Das Bild ist weder die bloße Konstruktion,
noch das private Gefühl, das es auslösen mag (seine psychologischen Folgen im Betrachter). Das Bild ist sinnlicher Prozeß, die Interaktion selbst, deren Spielraum von Bildgröße,
Farbfolge, Beleuchtung etc. bedingt wird." (37)
Ich setze diese Worte fett, weil sie weit über das Werk von Albers hinausgehen. Im Grunde kann man sagen: 'So funktioniert Kunst im 20. Jahrhundert'. Sie besteht aus materiellen Voraussetzungen,
noch schlichter: aus Material, und wird erst zur Kunst, indem der Betrachter aus diesem 'Faktum' ein 'Aktum' werden lässt, es in Bewegung versetzt, durch seine Fantasieleistung belebt, es
nutzt, um damit ein Werk erst zu erschaffen. - Inzwischen hat sich dafür der Begriff der "Performativität" eingebürgert. Boehms Ausführungen haben dafür eine gewisse
Vorreiterrolle.
Für eine mögliche Ekphrasis wäre Boehm zufolge dort anzusetzen, wo das Faktum zum Aktum wird, zu Wirkung. "Sie kann sich jetzt am jeweiligen anschaulichen Prozeß orientieren, den es darbietet."
(37) Ein ungegenständliches Bild zu beschreiben, heißt also, das "Moment des Lebendigen" zu beschreiben, das sich durch die Mitwirkung des Betrachters im Betrachter ergibt. Und auch
dieser Prozess erzeugt einen (oder mehrere) Sinn(e), kann sich - abhängig vom Betrachter (der im Sprachgebrauch der Performativität zum 'Teilnehmer' wird) - zu einer "komplexen Metaphorik"
entwickeln, "die der Interpret auszulegen versucht - so vieldeutig sie auch bleiben mag." (38)
Allerdings darf sich auch die Beschreibung eines modernen Kunstwerks nicht mit der Schilderung subjektiver Empfindungen begnügen. Stattdessen sollte der Fokus einer solchen Beschreibung, der ja
auf dem "Moment des Lebendigen" liegen soll, auf der gegenseitigen Abhängigkeit zwischen dem Faktum und dem Aktum liegen. Erst so beginnt das 'Material', aus dem das Kunstwerk besteht, zu
'sprechen'.
Man könnte es auch mit einem anschaulichen Vergleich illustrieren: Es macht wenig Sinn, ein Fluggerät am Boden zu beobachten und
zu beschreiben, oder ein Paar Skier im Sportgeschäft, oder ein Musikinstrument in seinem Kasten. Es muss 'in Aktion' sein, damit es 'lebendig' wird.
Wobei es auch hier deutlich wird, wie wichtig die Angemessenheit der Sprache ist. Text und Bild müssen miteinander korrespondieren. Nur so kann der Text sprachlich aufweisen, "was das
Bild seinerseits zeigt". (38)
"Auch das reduzierteste Bild der Moderne veranlaßt uns nicht in unmittelbares Schweigen zu verfallen, starren Auges zu brüten. Die Beschreibung hat ihre Zielsetzung nicht aufgegeben,
sie verfolgt sie mit veränderten Mitteln." (38)
Vom Sinn und den Möglichkeiten der Beschreibung - Teil 7 (Abschluss)
Gottfried Boehm, Bildbeschreibung. Über die Grenzen von Bild und Sprache, in: Ders./Helmut Pfotenhauer (Hgg), Beschreibungskunst - Kunstbeschreibung. Ekphrasis von der Antike bis zur
Gegenwart, München 1995, S. 23-40.
S. 38-40: Das Zeigen
Am Anfang dieses Texts stand die Frage, warum die Beschreibung eines Bilds durch einen Text überhaupt gelingen kann. Was verbindet beide Medien, so dass sie (annähernd) das Gleiche leisten
können? Die Antwort, die Gottfried Boehm ganz am Ende seines Aufsatzes gibt, lautet: weil sie beide in der Lage sind, zu zeigen.
Das die beiden Verbindende sei es, dass beide das leisten könnten, was "das Bild im Kern auszeichnet: Ungesehenes sichtbar zu machen, es für das Auge herauszuheben, es zu zeigen." (39)
Und übertragen auf die Ekphrasis, die Beschreibung eines Bilds oder Kunstwerks, resümiert er: Tatsächlich gehe es bei einer Bildbeschreibung, wenn sie gelingen soll, nicht darum, möglichst jedes
Detail im Bild zu erwähnen, eine möglichst vollständige, "verbale[ ] Abbildung" des Kunstwerks zu erschaffen. "Wie gute Übersetzungen treffen sie auch nicht, wenn sie sich um Buchstäblichkeit und
Wörtlichkeit bemühen (was bekanntlich dazu führt, den Geist eines Textes durch die Isolierung seines Buchstabens zu verzerren)." (39) Stattdessen müsse die gelungene Beschreibung gewissermaßen im
richtigen Abstand zum Beschriebenen stehen - nicht zu nahe an der Sache, nicht zu weit von ihr entfernt -, um der Lebendigkeit des beschriebenen Bilds Raum zu geben. Die
Ekphrasis dürfe nicht vor das Bild treten, sondern sie müsse "durchsichtig" sein auf das Bild hin. "Sie hilft damit dem Blick auf die Sprünge, weist ihm
die Wege, die nur er allein zu Ende gehen kann. Die Beschreibung hilft dem Sehen auf." (40) Ekphrasis/Beschreibung ist ein Mittel, mit dessen Hilfe der Betrachter mehr sieht.
Bildbeschreibungen "sind dann optimiert, wenn sie mehr zu sehen geben. Sie sollen nicht nur das Wiedererkennbare schildern, solches, das wir schon gewußt haben. Was den Umkreis unserer
Erfahrungen lediglich bestätigte, würden wir nicht Erkenntnis nennen. Denn erkennen heißt: mehr erkennen, anderes und anders erkennen." (40)