Gottfried Boehm, Bildbeschreibung. Über die Grenzen von Bild und Sprache, in: Ders./ Helmut Pfotenhauer (Hgg), Beschreibungskunst - Kunstbeschreibung. Ekphrasis von der Antike bis zur Gegenwart, München 1995, S. 23-40.
S. 31-36: Abschnitt 4: Vasari und die Tradition der Rhetorik
Die Beschreibung von Kunstwerken ist wie diese selbst zeitbedingt. Unterschiedliche Zeiten beschreiben Bilder in unterschiedlicher Weise, und wenn wir historische Bildbeschreibungen - Ekphrasen - lesen, müssen wir dies berücksichtigen, um sie in der entsprechenden Weise verstehen und würdigen zu können.
Mit die ersten Bildbeschreibungen der Neuzeit liefert der italienische Künstler und Künstler-Vitenschreiber Giorgio Vasari (1511-1574). Allerdings wurden seine Beschreibungen, die Teile der Lebensbeschreibungen der Künstler sind, bis vor einiger Zeit rein anekdotisch gelesen. Inzwischen aber hat sich die Sicht geändert. Seit einer Untersuchung von Svetlana Alpers ("Ekphrasis and aethetic attitudes in Vasari's Lives"; deutsche Übersetzung in dem Band Beschreibungskunst - Kunstbeschreibung, S. 217-258) von 1960 ist bekannt, dass Vasari seine Bildbeschreibungen bewusst und zugleich sehr kunstvoll so anlegt, dass zwar nicht jedes Detail des Bilds in den Blick genommen wird, dafür aber im Geist des Lesers ein möglichst lebendiges Abbild entsteht ("To make a picture live for the viewer"; Alpers). "Der Erzeugung von Lebendigkeit liegt ein differenziertes Verfahren zugrunde." (32)
Vasari ist in diesem Bemühen im Übrigen nicht allein. Schon Leon Battista Alberti (1404-1472) hatte sich bei der Auseinandersetzung mit der Malerei Giottos in seinem Traktat Della Pittura (1440) darum bemüht, beispielsweise "in der stummen Sprache des Körpers" dargestellter Personen "höchste und eindrücklichste Wirkungen der Seele und der Affekte zur Geltung zu bringen". (32)
Bei seiner Bildbeschreibung ging es Vasari ganz offensichtlich um andere Aspekte als die, welche später die Kunstwissenschaft interessierte. Es geht ihm nicht um Form- oder Kompositionsanalysen, stattdessen entwirft er einen Gesamteindruck und eine "wohldosierte Wirkung" (33), und er beschreibt vor allem jene Elemente, die diese Wirkung adäquat transportieren können.
Piero della Francesca, Konstantins Traum. Freskenzyklus zur Legende vom Heiligen Kreuz; 1452-1466; Arezzo, San Franceso (Chor)
"Im Nachtbild von Konstantins Traum ist es vor allem eine Bildwirkung, die aus dem Kontrast von Nachtdunkel und unirdischem Licht des Engels entsteht, ganz stille Töne, 'mit größter Zartheit' gemalt, in denen sich dieses epochemachende Ereignis ganz unpathetisch bekundet." (33) In anderen Bildern bringe der Künstler Furcht, Kühnheit, Gewandtheit, Kraft und andere, Regungen zum Ausdruck.
Vasari verschränkt in seinen Texten kunstvoll verschiedene Weisen der Darstellung. Aus der Antike übernimmt er zum Beispiel narrative Elemente, also Ansätze zu lebendigen Erzählungen. Zugleich bereichert oder unterminiert er sie durch Reflexionen, beispielsweise zur Technik der Malerei, zum Grad des Gelingens des Gemäldes, zur Wirkung, die das Kunstwerk für andere, auch auf spätere Künstler gehabt hat usw., ohne auf diese Weise die Lebendigkeit der Erzeugung eines Abbilds im Kopf des Lesers einzuschränken. "Vasari geht es um eine Mischung [der von ihm verwendeten rhetorischen Mittel], weil er an der Etablierung sprachlicher Kontraste interessiert ist" (34) - Kontrast hier im Dienst verschiedener Aspekte der Ekphrasis, die einerseits über Thema und Verlauf der Geschichte informieren, andererseits die Affekte, die psychologischen und emotionalen Aspekte der Figuren lebendig werden lassen wollen. "Ekphrasen sind offenbar darauf angewiesen, ein Gefälle zwischen Fakten und Affekten zustandezubringen." (34)
Dabei ist dieser Affekt nicht etwa ein sich selbst genügender Selbstzweck. Stattdessen zeigt sich hinter dem Affekt der "Grund eines Sachverhaltes, aus dem jener entstanden ist und umgekehrt." (34)
Vasaris Form der Ekphrasis, der bewusst selektiven Bildbeschreibung, "verschafft Erfahrungen von hoher Intensität, in denen der Leser mit dem geschilderten Sachverhalt dicht zusammenrückt." (35) Das geschieht, indem der Leser durch die Mittel der Anschaulichkeit im Text gewissermaßen zum Zuschauer gemacht wird.
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