Gottfried Boehm, Bildbeschreibung. Über die Grenzen von Bild und Sprache, in: Ders./ Helmut Pfotenhauer (Hgg), Beschreibungskunst - Kunstbeschreibung. Ekphrasis von der Antike bis zur Gegenwart, München 1995, S. 23-40.
S. 29-31:
III. Das treffende Wort
Boehm denkt am Beginn dieses Abschnitts über die seltsame Eigenart der Bilder nach, nicht allein Gegenstände zu sein (man kann diese Gegenstände an die Wand hängen, sie kaufen und verkaufen, sie werden hergestellt oder zerstört), sondern dass sie außerdem für etwas anderes stehen. Sie zeigen etwas und weisen auf diese Weise über sich selbst hinaus. Sie erzeugen Sinn, sind Träger von Bedeutung - ganz ähnlich, wie es Schrift tut, die auch nicht nur eine Linie aus Tinte oder Druckerschwärze ist, sondern darüber hinaus Träger einer Botschaft, von Bedeutung, eines Sinns. Boehm spricht daher von einem "sinnlichen Sinn", der sowohl vom Bild wie von der Schrift erzeugt wird (S. 29).
Allerdings ist "die 'Sprache der Bilder' [...] ebensosehr bedeutungserweckend wie unübersetzbar." (29)
Und daher ist der Ausdruck von der 'Sprache der Bilder' auch eher irreführend. Er suggeriert, dass Bilder wie Sprache konkrete Botschaften übermitteln, dass sie 'Übersetzungen' solcher Botschaften seien, die nach bestimmten Regeln erstellt (codiert) sind und nach entsprechenden Regeln wieder rückübersetzt (decodiert) werden können - Voraussetzung sei allein die richtige Anwendung der Regeln. Dieses Verständnis degradiert die Bilder zu einem 'uneigentlichen Modus der Sprache'.
Dabei folgen Bilder "völlig anderen Regeln, als denjenigen der gesprochenen oder geschriebenen Sprache." (30)
Jacob van Ruisdael, Blick auf Haarlem, um 1650; Amsterdam, Rijksmuseum
Irreführende Ikonographie
Es ist unsere lange eingeübte Vorstellung von einer 'Ikonographie', geprägt vor allem durch gelehrte Bildentschlüsseler wie Erwin Panofsky, die uns die Vorstellung eingeimpft hat, Bilder seien Träger von Botschaften, die eigentlich im Medium von Sprache und Schrift formuliert sind, im Bild jedoch transformiert in ein Medium auftreten, das leichter zu verstehen sei (daher der Ausdruck der 'uneigentlichen Sprache'). Ikonographie ist auf Wiedererkennbarkeit angelegt, die auf bestimmte, schon bekannte Inhalte verweist. An dieser Vorstellung krankt unsere Bildbetrachtung und -beschreibung bis heute.
Bilder aber sind und funktionieren, wie Boehm betont, prinzipiell anders als Sprache und Schrift. Nur verlieren wir durch unsere Prägung durch die Ikonographie "diese prinzipielle Andersheit des Bildes [...] leicht aus dem Blick." (30)
"Die Beschreibung muß mehr leisten, als die dem Bild impliziten Sprachgehalte zu reverbalisieren." (30)
Schließlich geht es letztlich bei Bildbetrachtung und -beschreibung nicht um eine solche 'Reverbalisierung', also um eine Rückübersetzung in Sprache.
Das Bild als Medium mit gänzlich eigenen Regeln
Ein Bild ist, Boehm zufolge, ein visuelles Feld, eine Ansammlung von Zeichen, die auf ganz unterschiedliche Weise und auf mehreren Ebenen zugleich wahrgenommen werden können und wollen und die zugleich in wesentlichen Bereichen über eine genaue Fixierung durch Sprache hinaus gehen (am besten vielleicht nachvollziehbar bei der Beschreibung eines Porträts).
Francisco de Goya, Die Familie Karls IV. (Detail), 1800-1801; Madrid, Prado
Dabei präsentiert sich ein Bild, ganz anders als Sprache oder Schrift, zunächst und vor allem als ein Ganzes, das auf einmal, in einem einzigen Augenblick wahrgenommen werden kann (während Sprache/Schrift notwendigerweise sukzessive, in einem Nacheinander von Decodierungen erschlossen werden muss).
Die Veränderung der Bilder im Verlauf der Geschichte, ihr "historischer Gestaltwandel kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß bildlicher Sinn und sprachlicher Sinn sich auf verschiedene Weise manifestieren." (30)
Aus diesem Grund ist es nicht ausreichend, wenn sich eine Bildbeschreibung auf die Identifizierung dargestellter Gegenstände beschränkt (wie dies allzu häufig geschieht). "Das sorgfältigste Verzeichnis alles dessen, was an Details auf einem Bild 'drauf' ist, wäre doch keine Beschreibung des Bildes." (30) Zu dieser gehört wesentlich auch das hinzu, was man als 'Ausdruck' bezeichnen könnte, als 'Wirkung': eine gelungene Beschreibung - die niemals vollständig sein kann - bezieht mit ein, wie ein Bild 'wirkt'. Boehm nennt diese 'Wirkung' auch die "Latenzen", den "ikonischen Zeigegestus". (30)
Allerdings besteht ein Problem - das umso größer wird, je wissenschaftlicher eine Beschreibung sein will - darin, dass die 'Wirkung' eines Bilds kaum objektiv fassbar ist (siehe Beschreibung eines Porträts). Sie wird immer in Subjektivität und den individuellen Eindruck abgleiten und damit den Bereich wissenschaftlicher Nachvollziehbarkeit und Verlässlichkeit verlassen (müssen). Aus diesem Grund konzentriert sich die wissenschaftliche Herangehensweise häufig auf Details bzw. bestimmte Aspekte des Bilds, ohne das Ganze in den Blick zu nehmen (und über Führungen und Audioguides wird den Besuchern vermittelt, dass man so an Bilder herangehen müsse). Genau so ging Panofsky in seinem epochemachenden Aufsatz "Über die Beschreibung und Inhaltsdeutung von Werken der Bildenden Kunst" (1932) vor. Es ging ihm um die Versachlichung und Kontrollierbarkeit des Beschreibungsvorgangs. "Er wendet sich indirekt gegen die ästhetisierende Einfühlung und die divinatorische Intuititon, die sich des Werkes ohne Umschweife bemächtigen wollen" (30), und damit hat Panofsky Generationen von Kunsthistorikern und ihre Art der Analyse von Kunstwerken - der Bildbeschreibung - geprägt.
Zugleich wird daran deutlich, dass die Sichtweise des Betrachters auf das Bild wesentlich durch sprachliche Voreinstellungen, durch die Sprache geprägt ist und gesteuert wird.
So verdienstvoll Panofskys Systematisierung der Analyse von Kunstwerken war, sie führt auch in ein Dilemma: "Die Abfolge dreier Schichten im Bild [bzw. dreier Stufen der Analyse] kann niemals ein wirkliches Äquivalent für seine Komplexität sein." (31)
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